Zuletzt aktualisiert am 23. Dezember 2022
[Gastartikel] Wandern hat die Kraft, Menschen und ihre Leben nachhaltig zu verändern. Im Kleinen und im Großen, Stück für Stück oder mit einem lauten Paukenschlag, aber immer zum Guten! Ich hab es selbst erlebt, als ich damals meiner Sehnsucht nach dem Unterwegssein in der Natur gefolgt bin, obwohl ich eigentlich gar keine Ahnung von all diesen Dingen hatte. Da war nur dieses Gefühl, dass da etwas ist, das ich unbedingt tun möchte, und ich habe diesem Gefühl nachgegeben. Bin aufgebrochen zu meinen ersten Tageswanderungen, meiner ersten Soloreise, meiner ersten Zeltnacht in der „Wildnis“, der ersten Fernwanderung… und irgendwann auch zu meiner Selbstständigkeit als Bloggerin und Autorin.
Auch Gastautorin Christin verdient ihren Lebensunterhalt heute mit dem Wandern. In diesem Gastartikel berichtet sie davon, wie sie ihre Liebe zum Wandern entdeckt hat, wie das Wandern sie mit jeder Tour verändert und ihr gezeigt hat, was sie wirklich will. Dabei war für Christin das Wandern nicht zuletzt der Schlüssel zu ihrem beruflichen Glück. In der Natur hat sie die Klarheit und die Antworten gefunden, die sie zuvor vergeblich gesucht hat. Und heute hilft sie anderen Menschen mit ihrem Coaching-Angebot Hike Inspired dabei, ebenso ihren eigenen Weg zu finden.
Aber der Reihe nach…
Wie ich meine Wanderliebe auf dem Three Capes Track auf Tasmanien entdecke
Ich stapfe durch den Sand. Meine Beine fühlen sich müde an, mein Rücken schmerzt. Ich bin seit drei Tagen unterwegs – auf dem Three Capes Track in Tasmanien. Für geübte Wanderer ein gemütlicher Spaziergang, aber für mich ist es anstrengend. In den letzten drei Monaten war ich in Asien unterwegs. Neben kürzeren Strecken am Strand oder im Dschungel habe ich wundervolle Dinge erlebt, aber auch das thailändische Curry und der Mango-Sticky-Reis schmeckten gut.
Der Three Capes Track ist die erste Wanderung meiner Weltreise und der erste mehrtägige Track meines Lebens. Im Oktober 2017 bin ich in meine Auszeit gestartet und habe meinen Job als Kommunikationsmanagerin für 10 Monate hinter mir gelassen. Auf dem Weg entlang der tasmanischen Küste verschwende ich keinen Gedanken daran. Tagsüber genieße ich die Natur, abends freue ich mich auf unser Tütenessen in der Hütte und die netten Gespräche mit Australiern.
Wir sind zwei der wenigen Internationals auf dem Track, der erst 2015 eröffnet wurde. Obwohl einige Wanderer:innen deutlich älter sind als wir, sind wir doch immer die letzten, die abends an der Hütte ankommen. Wir lassen uns an den Aussichtpunkten aber auch immer besonders viel Zeit, rede ich mir ein. In Wahrheit sind die anderen einfach flotter unterwegs…
Die Aussichten aufs Meer die Klippen hinab ist gigantisch und obwohl mir nachts im Bett alles schmerzt, laufe ich jeden Morgen auf wundersame Weise fröhlich weiter. Als wir am nächsten Tag das Etappenziel erreichen, bin ich erleichtert, aber gleichzeitig traurig. Das war einfach soooo schön, sage ich immer wieder zu meinem Freund. Abends zurück in der Zivilisation fühle ich mich wehmütig, fast tut es ein wenig weh. Ich vermisse die Natur, unsere Mitwanderer:innen, das Gefühl nicht zu wissen, was nach der nächsten Kurve auf mich wartet – und sogar das Laufen. Ein wenig fühlt es sich wie Liebeskummer an. Ich glaube, ich bin verliebt…
Wie ich mit einem Kilogramm Erdnüssen im Rucksack in Neuseeland wandere
Als nächstes fliegen wir nach Neuseeland, auf die Südinsel und damit in die Region der Southern Alps. Angefixt von meinem ersten Wandererlebnis buchen wir gleich zwei der Great Walks. Wir starten von Te Anau aus und verlängern den 60 Kilometer langen Loop um zehn weitere Kilometer.
Früh morgens geht es aus dem Bett: Wir wandern auf dem berühmten Kepler Track. Und wieder eine Premiere, schließlich ist das meine erste Tour in den Bergen. Ich bin so aufgeregt, als es endlich losgeht und wir gleich mit einem Highlight starten. Der Wald am Ufer des Lake Te Anau mutet an wie im Märchen. Überall wachsen Farne, Moose und Fliegenpilze. Der erste Anstieg hoch zur Luxmore Hut hat es dann gleich in sich. Immer wieder mache ich Pausen.
In den nächsten Tagen bin ich so fasziniert von der Natur. Der Ausblick raubt mir im Minutentakt den Atem. Ich mag die geselligen Abende auf der Hütte, wo um 21 Uhr das Licht ausgeht. Ich lerne, dass in einem Schlafsaal mindestens einer so laut schnarcht, dass ich nicht schlafen kann. Und ich werde ausgelacht. Stets besorgt, nicht satt zu werden, haben wir es mit den Erdnüssen zu gut gemeint und gleich ein Kilogramm mitgenommen. (Kleiner Spoiler: Die wir natürlich nicht alle aufgegessen haben). Naja, man lernt ja schnell. Insbesondere, wenn man alles tragen muss.
Und noch mehr: Ich spüre, was Wandern alles mit mir macht. Auf anstrengenden Passagen stehen meine Gedanken still und mein Kopf ist plötzlich ganz leer. Ich konzentriere mich nur auf den Moment und meinen nächsten Schritt. Verläuft der Weg entspannt, fließen meine Gedanken nur so und ich fühle mich im Flow. Ich spinne Pläne mit meinem Freund, wie die Reise weitergeht und genieße es, einfach zu sein.
Wie ich in der Wüste im Südwesten der USA eine lange Durststrecke beende
Während unserer Reise verschwende ich fast keinen Gedanken an mein Leben in Deutschland, geschweige denn an meinen Job. Das war schon immer ein schwieriges Thema. Nach meinem Schulabschluss wäre ich am liebsten auf Reisen gegangen, denn ich hatte keinen blassen Schimmer, was ich beruflich machen sollte.
Ich stolperte von meinem Bachelor- in mein Masterstudium der Kommunikationswissenschaft und schrieb meine Abschlussarbeit in einer Kommunikationsabteilung eines Mittelständlers in Münster. Das ließ mich zwar nicht freudestrahlend zurück, war aber ganz ok. Froh über den Anhaltspunkt schickte ich einige Bewerbungen für Stellen als Kommunikationsmanagerin an diverse deutsche Unternehmen. Ein Berliner Webhoster sagte mir schließlich zu und ich zog in die Hauptstadt, wo mein Freund bereits lebte.
Es blieb, wie es begonnen hatte: Es war ganz ok. Aber wirklich glücklich machte es mich nie. Am Montag sehnte ich bereits das Wochenende herbei und unsere Urlaube waren rettende Inseln, auf die ich hinfieberte. Daher war ich einfach nur froh, das Thema auf unserer Reise für einige Monate ruhen lassen zu können.
Doch plötzlich ploppt es unerwartet hoch. Ich sitze im Auto auf dem Weg ins Monument Valley im Südwesten der USA. Ich könnte doch Coach für Internationals in Berlin werden, die herkommen, um hier zu leben und zu arbeiten, schießt es mir durch den Kopf. Von dem Moment an bin ich Feuer und Flamme. Wir gehen fast täglich in der Wüste wandern und ich male mir mein neues Leben in allen Farben aus. Meine Gedanken überschlagen sich mit jedem Schritt. Immer wieder kommen mir neue Ideen.
Wie sich auf Neufundlands „höchstem“ Berg alle Türen öffnen
Als wir Neufundland entdecken, sind wir schon fast am Ende unserer Reise. Es sind fast ausschließlich Fahrtage, an denen wir nicht wenigstens eine kurze Wanderung machen. Wandern ist aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken. Damals war mir noch nicht klar, dass das auch eine Weile nach meiner Rückkehr nach Deutschland wieder so sein würde.
Wir erkunden den Gros Morne Nationalpark und starten eine Wanderung auf Neufundlands höchsten (kleinen) Berg, den Gros Morne, mit seinen 807 Metern. Der Anstieg verläuft über Geröll und kleine Schneefelder, gelingt mir aber inzwischen ganz leicht. Mein Körpergefühl hat sich gewandelt. Durch die viele Bewegung an der frischen Luft bin ich richtig fit geworden. Es fühlt sich so gut an.
Überhaupt fühle ich mich fast wie ein anderer Mensch. Diese Reise hat mich verändert – auf positive Art und Weise. Wir haben Menschen kennengelernt, die ganz anders denken als wir oder Menschen, die wir von zuhause kennen. Sie haben große Träume, gehen ihnen nach oder leben sie bereits. Das zu sehen, hat mir klar gemacht, dass auch in meinem Leben alles möglich ist, solange ich es nur für möglich halte.
Auf dem Gipfel des Gros Morne, der eher einem Plateau gleicht, spüre ich diese Möglichkeiten wie noch nie zuvor in meinem Leben. Wir haben uns einen dicken Steinbrocken für unsere Pause ausgesucht und blicken über die wunderschöne Landschaft. Es ist schwer in Worte zu fassen, aber es fühlt sich an, als hätte ich mich von Ketten befreit. Gleichzeitig hat sich der Nebel gelegt und ich sehe nun all die vielen Wege klar vor mir, die mir offenstehen. Ich atme tief ein, lasse meinen Blick über die wunderschöne Landschaft schweifen, die von oben so unberührt aussieht. Ich fühle mich der Natur so nah und verbunden wie nie zuvor. Dankbarkeit durchströmt mich, mein Herz platzt fast vor Freude. Endlich habe ich einen Clou, was mich beruflich glücklich macht. Am liebsten würde ich noch ewig hier sitzen.
Wie auf Berlins Trümmerberg der Groschen fällt
Mit diesem glücklichen Gefühl steige ich an einem heißen Augusttag 2018 aus dem Flugzeug in Berlin-Tegel. Die Sonne ist unerbittlich. Das Thermometer im Taxi auf dem Weg zu unserer Wohnung zeigt 34 Grad. Nie hätte ich gedacht, dass die Reise und unsere Wanderungen mein Leben so nachhaltig verändern würden. Meinem Job stehe ich positiv gegenüber, trotz der Idee Coach zu werden. In wenigen Wochen geht es wieder los und ich bin offen für das, was auf mich wartet.
Allerdings fühle ich mich im Herbst bereits ernüchtert: Das Gefühl der Unzufriedenheit ist zurück. Dennoch ist etwas anders. Ich bin nicht mehr bereit, es beiseite zu schieben. Und ich habe eine Idee. Ich reduziere meine Stunden und arbeite freitags an meinem Projekt. Dennoch sagt mir mein Bauchgefühl, dass die Idee noch nicht stimmig ist. Aber ich komme nicht darauf, was es sein könnte.
An einem nebligen Dezembernachmittag machen mein Freund und ich einen Spaziergang auf unseren „Hausberg“. Der Trümmerberg im Volkspark Friedrichshain ist keine 80 Meter hoch. Plötzlich habe ich einen Geistesblitz wie im Frühjahr im Südwesten der USA. Ich liebe das Wandern, beim Wandern kommen mir die besten Ideen. Warum nicht Wandern und Coaching verbinden? So können auch meine Klient:innen von der Magie des Wanderns und fundierten Tools aus dem Coaching profitieren. Meine Vision steht: Ich werde Wandercoach!
Wie ich auf dem West Highland Way einen Schlussstrich unter meinen Job ziehe
Meine Coachingausbildung in Berlin ist in vollem Gange, als ich mit meinem Freund im Flieger nach Schottland sitze. Du ahnst es sicher schon, wir starten ins nächste Abenteuer unserer jungen Wanderliebe: den West Highland Way. 154 Kilometer von Milngavie bis nach Port William liegen im Frühsommer 2019 vor uns.
Noch wenige Wochen zuvor saß ich abends am Rechner und spielte mit dem Gedanken, während der Tour im Zelt zu übernachten. Mein Freund bremste mich und als sich unser Zug in Glasgow im strömenden Regen Richtung Milngavie in Bewegung setzt, bin ich dann doch ganz froh. Ich bewundere die Wandergeschichten richtiger Outdoorabenteurer:innen, die mit dem Zelt über mehrere Woche in die Natur eintauchen. Ob ich jemals zu ihnen gehören werde? Ich weiß es nicht. Aber die Überzeugung von unserer Reise, dass alles möglich ist, habe ich mir bewahrt.
In den nächsten acht Tagen genieße ich die schroffe Landschaft der schottischen Highlands, freue mich über die vielen Schafe am Wegesrand und verliebe mich in den Kontrast der grasgrün bewachsenen Hügel und dem satten Blau des Himmels. Die Midges, über die Grenzen Schottlands hinaus bekannte Stechfliegen, lassen mich fast verzweifeln. Zu schade, dass sie manchmal so penetrant nerven, dass wir unser Plätzchen am Loch Lomond dann doch schnell wieder räumen.
Anders als auf meinen Reisen zuvor beschäftige ich mich intensiv mit meiner aktuellen beruflichen Situation. Mehr als ein regelmäßiges Einkommen gibt mir mein Job nicht mehr. Auch wenn es bis zum Ende meiner Ausbildung noch einige Monate hin ist, spiele ich mit dem Gedanken zu kündigen. Und der jagt mir eine Heidenangst ein. Wie soll das finanziell gehen? Was, wenn ich das nicht schaffe?
Am Abend des vierten Wandertages sitzen wir uns auf unseren Gummimatten einer kleinen Holzhütte auf dem Campingplatz in Tyndrum gegenüber und mein Freund spricht meine Gedanken aus: Du solltest jetzt kündigen. Du hast einen Plan und der ist gut! Als hätte ich ein „Go“ von außen gebraucht, ist plötzlich alles klar. Am nächsten Tag starten wir die nächste Etappe und ich endgültig in mein neues berufliches Leben.
Wie Wanderungen in der Natur helfen können, das berufliche Glück zu finden
Warum ich die Antwort und den Mut zu meinem beruflichen Glück beim Wandern in der Natur fand, ist mir heute umso klarer. Bei der Bewegung in der Natur ist unser Gehirn optimal mit Sauerstoff versorgt. Unser Herz schlägt kräftig und bringt unseren Kreislauf in Schwung. Wissenschaftler der Sporthochschule Köln haben zum Beispiel herausgefunden, dass unser Gehirn eine Art Neustart hinlegt, wenn wir uns bewegen. Das Gehirnareal, das für unser logisches Denken zuständig ist, wird heruntergefahren. Gleichzeitig werden die Areale unseres Gehirns aktiviert, die unsere Bewegungsabläufe koordinieren. Dieser Neustart sorgt für einen klaren Kopf und dafür, dass wir uns besser konzentrieren können. Auch macht das Gehen kreativer: In einer US-amerikanischen Studie der Standford University fanden Forscher heraus, dass Probanden beim Gehen kreativere Ideen hatten als im Sitzen. Während und kurz nach einem Spaziergang zeigten sich die Teilnehmer um 81 Prozent kreativer. Sie hatten unter anderem die Aufgabe, ungewöhnliche Verwendungsmöglichkeiten für Alltagsgegenstände aufzuzählen.
Wie ich das Wandern zum Beruf mache
Diese Erkenntnisse sowie meine eigenen Erfahrungen sind heute das Herzstück meines Coachings. Ich unterstütze meine Klient:innen dabei, ihr berufliches Glück zu finden und mutig zu leben – und das nicht etwa in einem Coachingraum, sondern draußen in der Natur beim Wandern, hauptsächlich in und um Berlin sowie in der Sächsischen Schweiz und im Harz. Neben dem beruflichen Glück sind es aber auch Antworten auf Herausforderungen und Fragen des Alltags, die meine Klient:innen auf unseren Spaziergängen und Wanderung finden.
Schon mir hat diese Kombination unheimlich geholfen: Auf Weltreise sowie einige Wochen vor meiner Wanderung auf dem West Highland Way machte ich ein Online- und später ein 1:1-Coaching in Berlin. Die Fragen nahm ich mit auf meine Spaziergänge und Touren und erlebte immer wieder Schlüsselmomente, auf die ich vorher so lange gewartet hatte.
Unzählige Stunden hatte ich schon darüber gegrübelt, was ich beruflich wirklich will und was mich glücklich macht, vom Teenageralter bis in meine frühen Dreißiger. Heute weiß ich es: Menschen dabei zu unterstützen, ihr berufliches Glück ebenso zu finden, macht mich unendlich glücklich. Noch immer kribbelt mein ganzer Körper, wenn ich diese magischen Momente bei meinen Klient:innen sehe, wenn plötzlich ein Gedanke aufblitzt, der alles verändert.
Über die Autorin und ihr Coaching-Angebot Hike Inspired
Nach ihrer Weltreise gründete Christin Hike Inspired und erwandert seitdem bei Wandercoachings die Natur rund um Berlin, der Sächsischen Schweiz und im Harz. Sie unterstützt ihre Klient:innen dabei, ihr berufliches Glück zu finden und mutig zu leben. Auf Spaziergängen in Berlin oder deutschlandweit per Telefon finden ihre Kund:innen bei „Walks & Talks“ Wege für Herausforderungen des täglichen Lebens.
Weitere Informationen zu Christin und ihren Coachings findest du unter www.hike-inspired.com. Auf Instagram (@hike_inspired) teilt Christin zudem viele Impulse, wie auch du dein (berufliches) Glück finden kannst.
1 Comment
Vielen Dank für die inspirierenden Zeilen! Macht Mut und Lust, die ausgetretenen Pfade zu verlassen und etwas Neues zu probieren.