“Hier ist eh alles schöne Wiese, da kann man einfach irgendwo parken und dann irgendwo hinlaufen und dann irgendwo sein Zelt aufstellen und… alles gaaar kein Problem. Hat ja auch nicht geregnet die letzten Tage.”
So oder so ähnlich muss es sich in meinem Unterbewusstsein abgespielt haben. Denn ich habe im hintersten Winkel der Kyle Of Tongue plötzlich mein Auto geparkt, meinen Rucksack mit Zelt & co. bepackt und bin einfach mal losgelaufen. Gut. Das Wetter war wirklich schön. Und ich wollte nach 4 Nächten im Hostel endlich mal raus. Und da war so ein schönes großzügiges Plätzchen für James-Charles an der Single Track Road. Und die nächsten Tage sollte es etwas unbeständiger werden. Aber wenn ich vorher schon mehr Erfahrung mit dem schottischen Schwamm, der sich Boden schimpft, gemacht hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht so ins Blaue hinein losgelaufen. Zumal ich vorher noch nie im Leben irgendwo alleine draußen gezeltet habe. Und überhaupt wusste ich ja eigentlich, dass es diese “schöne Wiese” in Schottland quasi gar nicht gibt.
Überhaupt war das gar nicht so geplant. Ich wollte eigentlich noch eine weitere Nacht im Hostel verbringen, um nach meiner Erkältung wieder voll auf die Beine zu kommen. Aber dann habe ich in Tongue die “falsche” Abfahrt genommen und bin auf die kleine verlassene Single Track Road gekommen, die um die ganze Bucht herumläuft. Und dann wurde die Landschaft immer schöner und wilder. Und ich immer abenteuerlustiger. Und das Wetter war wirklich schön und.. naja. Ihr wisst schon.
Nachdem ich mich ungefähr 200 mal versichert habe, dass alle Lichter am Auto aus und die Fenster zu sind, der MP3-Player abgesteckt ist und James-Charles die Nacht wohlbehalten überstehen wird, lief ich los. Schnell hatte ich das Gefühl, dass der Rucksack für eine Nacht ganz schön schwer war. Aber meine erste Nacht alleine in der Wildnis wollte ich schon mit einem gediegenen Becherchen Rotwein feiern (also nahm ich natürlich gleich ne ganze Flasche mit). Und woher sollte ich bitte wissen, ob ich jetzt in zwei Stunden lieber Instantreis mit Currygeschmack oder scharfe Asianudelsuppe essen wollte? Dazu zwei Isomatten, Obst, Minimuffins, ein Buch, das Teleobjektiv… Alle Freunde des Ultraleicht-Trekkings bitte ich hiermit um Entschuldigung. Ich war halt.. naja.. verunsichert und wollte alles richtig machen. Und natürlich überleben. Und nichts bereuen.
Ich überquerte eine kleine Brücke und war schnell am Rande des Hügellandes angelangt, auf das ich hinauf wollte. (Irgendwie hatte ich die seltsame Idee, dass ich von “da oben” das Meer sehen müsste. Weil man ja immer von oben das Meer sieht oder was?! Diese Annahme sollte sich als völliger Blödsinn herausstellen. Vielleicht hätte ich einfach mal in die Karte schauen sollen. Njaaaaa.)
Bereits die ersten Schritte querfeldein ließen nichts gutes erahnen. Überall gluckerte und gurgelte es. Matschte und schmatzte es. Aber ich wollte da jetzt hoch. Wegen dem Blick aufs Meer und so. (Ähm. Ja.) Also angelte ich mich im Zickzack von Grasinsel zu Grasinsel, stets in der Hoffnung nicht auf das berühmt-berüchtigte “böse Gras” (Bog Holes) zu treffen. Ich hatte noch keine gesehen und wusste nicht, wie die aussehen. Ich wusste nur, dass man einfach plötzlich im Matsch steht. Bis zum Knöchel oder bis zum Oberschenkel, je nach Karma. Aber selbst bis zum Knöchel hätte ich da irgendwie so gar keine Lust drauf gehabt. Nach ca. 45 Minuten Kampf gegen den schottischen Schwamm kam mir irgendwann die Idee, dass es “da oben” wohl genauso sein würde wie “da unten”. Und das man sich hier vielleicht so einiges vorstellen konnte, aber sicher keine gemütliche und halbwegs trockene Schlafstätte. Aber Aufgeben ging jetzt auch nicht mehr. Also bin ich mutig weiter bergan gestapft, immer bemüht mich auf den Pfaden der Schafe zu halten, die sich hier und da abzeichneten. Die Schafe würden schon wissen, was sie tun. Die haben sicher auch keine Lust auf Bog Holes.
Einige Zeit später, als ich längst schon begriffen hatte, dass das mit dem Meerblick nix wird, stieß ich auf einen kleinen See und wusste: Entweder hier oder gar nicht mehr. Es wurde immerhin schon langsam Abend und meine Kondition neigte sich dem Ende zu. Also sprang ich munter um den See herum auf der Suche nach einem halbwegs trockenen Plätzchen mit Sitzgelegenheit und fand ihn – den (zumindest den Umständen entsprechend) perfekten Zeltplatz. Mit eigenem See. Sitzgelegenheit. Windgeschützter Kochstelle. Leicht erhöht, um nicht davon zuschwimmen. Und – was mir erst mit zunehmender Erleichterung bewusst wurde – hammermäßigem Superpanorama. Voller Euphorie baute ich in Windeseile mein frisch erworbenes und bisher nur im Park getestetes Zelt Hermann-Herbert (ein Vango Banshee 200, Testbericht folgt) auf, machte in Foto davon und verspürte dann unendlichen Stolz. Stolz der Sorte “Ich.Behausung.gebaut.schlafen.werden.gut.ugha ugha”.
Ich entscheid mich für die Asianudelsuppe, öffnete den guten Roten und dachte mir: Was kann es schöneres geben, als hier zu sitzen? Was soll jetzt noch… AU! WAS WAR DAS! Es. Sticht. An meiner Hand. Kleines schwarzes Ding sitzt auf meiner Hand. Das werden doch nicht.. Ok. Kein Lüftchen weht. Es ist ein milder sonniger Herbstabend. Neben mir ist ein See. Das müssen sie sein. Hallo Midges. Ich dachte ihr wärt schon im Winterschlaf. Aber scheinbar gibt es noch ein paar von Euch. Na wunderbar.
Wenigstens hatte ich mein Siegesmahl noch in Ruhe vertilgen können. Denn ab jetzt hieß es bis zum Sonnenuntergang in Bewegung bleiben. Smidge und ähnliche Abwehrmittelchen gegen die unsäglichen schottischen Stechviecher hatte ich zu der Jahreszeit nämlich nicht mehr für notwendig gehalten. Also nahm ich meine Tasse und meine Kamera und blieb immer so lange an einem Ort sitzen, bis sie mich entdeckt hatten. Dann flüchtete ich wieder woanders hin. Und immer so weiter. In den Pausen fotografierte ich den Sonnenuntergang. Machte Fotos mit Selbstauslöser. Sang ein bisschen vor mich hin. Und genoss die wunderschöne Landschaft. Bis es wieder.. AU! Mistige Mistviecher. Zum Glück waren es nur noch die letzten Überlebenden des Sommers, aber doch genug, um mich immer wieder aufzuscheuchen. Spaß hatte ich aber trotzdem. Und so schön war es.
Als ich irgendwann genug von der ewigen Flucht hatte, war es zum Glück sowieso Zeit ins Bettchen zu gehen. Denn in tiefer Dunkelheit wollte ich dann doch trotz aller Tapferkeit nicht mehr draußen sein. Angenehm leicht betüdelt vom Rotwein und müde von der Erkältung, die mich immer noch etwas schlapp machte, schlief ich dann auch so schnell ein, dass ich gar keine Zeit hatte, mir die Horrorfilme der vergangenen 15 Jahre in Erinnerung zu rufen. In der Nacht wachte ich zwei- oder dreimal auf und hatte den ein oder anderen Zombiekettensägenmörderzyklopen vor dem inneren Auge, gab aber alles um schnell wieder einzuschlafen und war damit auch erfolgreich. Als ich am nächsten morgen aufwachte, war ich schon froh, dass es wieder hell war und ich aus dem Zelt durfte und so. Aber eigentlich war alles halb so wild gewesen. Wer hätte das gedacht! Juhu!
Da das Wetter trüb und der frühe Morgen ziemlich kalt war, beließ ich es beim Instantcappuccino, packte meine 7 (eher 37) Sachen und machte mich an den Abstieg. Ich wählte eine etwas andere Route und kam dank etwas mehr Erfahrung mit und Vertrauen in den schottischen Boden zügig und frohen Mutes irgendwann wieder an der Straße an. Und da waren dann auch die Schafe, denen ich wohl meinen trockenen Pfad vom Vortag zu verdanken hatte. Ich winkte Ihnen fröhlich zu, wünschte einen guten Morgen und freute mich dann überaus, nach meinem einsamen Abenteuer wieder einen alten Bekannten zu sehen: Hey James-Charles, altes Haus. Schnell noch Zähne geputzt, Blaubeermuffin gegessen, zwei weitere Blaubeermuffins gegessen (es waren ja nur die Minimuffins!) und ab ins Auto. Ich hatte alleine draußen übernachtet. Irgendwo im Nirgendwo. Ohne Angst und schlaflose Nacht. Bin jetzt offiziell aufgenommen in die Riege der Abenteurer und Entdecker. Oder zumindest hab ich die erste Bewerbungsrunde überstanden. Naja, gut. Sagen wir… mein Lebenslauf wurde nicht gleich in den Müll befördert. Das reichte mir aber voll und ganz für den Anfang. Weitere Abenteuer konnten also kommen. Ich war bereit.
Hier geht’s zur Fortsetzung: Das Fräulein in den Highlands – Teil 4: Durness und Sandwood Bay
Könnt Ihr Euch noch an Eure erste Nacht alleine im Freien erinnern? Wo war das? und wie war das? Freue mich auf Eure Geschichten.
In meiner Beitragsreihe “Das Fräulein in den Highlands” berichte ich über meine zweiwöchige Rundreise durch den hohen Norden Schottlands vom September/Oktober 2013. Unterwegs war ich mit James-Charles, dem Mietauto und Hermann-Herbert, dem Zelt. Viel Spaß beim Lesen.
12 Comments
Liebe Kathrin,
das klingt ganz wundervoll! Ich denke wir werden in Schottland dieses Jahr von Hostel zu Hostel (bzw. B&B) reisen, aber so eine einsame Nacht in der wilden Natur klingt auch reizvoll…
Herzliche Grüße
Dani
Es gibt so viele toll gelegene Hostels und BnBs in Schottland, da kommt ihr sicher auch ohne Zelt auf Eure Kosten! :)
hach, die erste Nacht alleine in der Wildnis! So viel Schlaf ist mir in der jeweils ersten nie vergönnt. In meinem Blog gibt es auch einige Berichte zu Irland & Schottland (& Grönland), nur weniger Photos! Deine sind toll!
Danke, Chris! :) Ich les gleich mal rein bei Dir.
Viele Grüße
Kathrin
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Hallo Kathrin,
Ich bin grade auf der Suche nach einem Zelt für mich. Wie hat dir denn das Vango Banshee zugesagt?
Es ist ja relativ preiswert, deswegen würde ich ja dazu tendieren für meinen “trekking”-einsteigsverszuch.
Ich hab leider keinen Testbericht dazu gefunden.
Viele Grüße
Also wenn du damit in so Gefilden wie Schottland unterwegs sein willst finde ich es als Einstieg ziemlich perfekt! :-) Nur für wärmere Regionen ist es nicht so sehr geeignet.
Hallo Anni,
kleiner Erfahrungsbericht eines weiteren Banshee-Besitzers:
Wir nutzen das 2010er Banshee 300 zu zweit. im Oberkörperbereich ist es innen 1,70 m breit, da passen unsere Rucksäcke noch zwischen uns. Das 200er-Modell wäre uns da zu klein.
Einer nimmt das eigentliche Zelt (Innen- und Außenzelt) mit 1500 g, der andere Gestänge, Heringe und zusätzliche Bodenplane, zusammen gut 900 g. Schau unbedingt bei englischen Versendern, zur Zeit viele Saisonschluß-Angebote und Super-Pfundkurs! Bei http://www.summits.co.uk gibt es das 200er zur Zeit für 89 Pfund, das 300er für 99 plus 10 GBP Porto. Bei denen hab ich schon bestellt, superschneller Versand.
Ich kann das Zelt vom Preis-Leistungs-Verhältnis und den vielen guten Detaillösungen her nur empfehlen. Denk aber dran, daß es nicht selbsttragend ist. Auf felsigem Grund ein Problem. Daher haben wir immer 10 m Extra-Abspannleine mit, um die beiden unbedingt notwendigen Abspannpunkte notfalls verlängern zu können.
Viel Spaß und herzliche Grüße vom Firth of Kiel
Olli
Hallochen ! Ich möchte in Mai für eine Woche, also genaz 5 Tagen in der Highland wandern und wild zelten. Fliege mit Ryanair über Edinburgh und nur bestimmten Erfahrungen von Odenwald oder Pfalz, auch Peru aber in Gruppe.
Was kannst du mir als leichte Gepäck empfehlen ( unter 10 kg ) , was vor der Kälte schützt und mir bestimmte Nahrung / Wärme bringt.
Lieben Dank
Cristèle
Hi Cristèle, guck mal hier >> https://fraeulein-draussen.de/packliste-trekking-grossbritannien/ Das ist meine Packliste für meine 3-monatige Tour durch Großbritannien, bei der ich viel Wert auf einen guten Kompromiss zwischen Wetterschutz und Gewicht gelegt habe.
Viele Grüße,
Kathrin