(Gastartikel) Ana vom Blog “Über 66 Grad” ist im August mit ihrem Freund 100 Kilometer durch die finnisch-karelische Waldlandschaft an der russischen Grenze gewandert. Die Gegend ist ein Paradies für alle Tierbeobachter – die kleine Bevölkerungsdichte Kareliens und die wenigen Wanderer, erlauben den Wildtieren aller Art sich auszutoben. So hat man dort zum Beispiel die Chance, einen der 200 vom Aussterben bedrohten Wölfen zu sehen, die vorwiegend in Karelien leben.  Oder aber auch auf den König der finnischen Wälder zu stoßen – den Bär! Ob Ana wohl einen gesehen hat?

Der frühe Vogel fängt einen… sieht einen Bär?

5:50 am frühen Morgen. Piep, piep, der Handywerker klingelt. Durch das Zelt dringen warme Sonnenstrahlen. Auch wenn es noch so früh am Morgen ist, bin ich froh, dass nun Zeit zum Aufstehen ist. Die ganze Nacht wurde ich von Alpträumen geplagt: ein Bär fraß sich durch unser Zelt durch und war dabei, mir sämtliche Körperteile auszureißen. Brr…!

Langsam ziehe ich das Zeltfenster auf. Vorsichtig schaue ich mich um.

Kein Bär. Schade. Irgendwie. Die nette Frau im kleinen Informationszentrum im Patvinsuo Nationalpark sagte, früh am Morgen wäre die beste Zeit Bären zu beobachten. Nun ja, vielleicht an einem anderen Morgen.

Die erste Nacht in Karelien liegt hinter uns. sieben Kilometer haben wir geschafft, weitere 90 liegen vor uns. Wir wandern in Karelien entlang des einsamen Wolfspfades Susitaival durch Finnland.

Unser Ziel: so viele Wildtiere wie möglich zu erspähen und dabei erholsame und einsame Zeit in den tiefsten Wäldern Finnlands zu genießen.

WandernKarelien-Zelten

Ich steige vorsichtig aus dem winzigen Zelt aus und freue mich darauf, auf den Aufsichtsturm unweit unseren Zeltes zu steigen, um eine großartige Aussicht auf die umlegenden Sümpfe und Wälder zu bekommen und hoffentlich einen Adler zu sehen… oder aber einen der vielen Luchse, Vielfraße, Wölfe oder Bären, die diese Region bevölkern.

Auf dem Weg zum Aussichtsturm befinde ich mich in einem innerlichen Kampf – soll ich ganz leise sein, um keine Bären auf mich aufmerksam zu machen oder soll ich lieber singen, um die Bären nicht zu überraschen?

Ich entscheide mich für die 2. Variante. Von meinem Alptraum habe ich mich einfach noch nicht erholen können.

Ob es an meinem entzückender Gesang lag oder einfach nur Pech war, wollten einfach keine Wildtiere in meiner Nähe sein. Trotzdem: das frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Die Sonne steht ganz tief über der scheinbar unendlichen Sumpflandschaft, die lediglich von ein paar kleinen dichten Wäldern unterbrochen wird.

Ich bin gespannt, was mich erwarten wird. Große Erwartungen habe ich eigentlich nicht. Ich freue mich auf die Entspannung. Jeder Tag ist ein Sonntag, ähnlich einem der Tage, an dem ich faul am Sofa rumhänge und die ganze Zeit Naturdokus anschaue. Nun aber bin ich mittendrin.

Einen Müsliriegel und zwei Handvoll frisch gepflückte Blaubeeren später machen wir uns weiter auf dem Wolfspfad Richtung Süden.

WandernKarelien-Sumpf

Unterwegs durch die wilde Landschaft Kareliens

Manchmal durchqueren wir kilometerweise Sümpfe. Zum Glück gibt es Holzbalken, sodass wir uns nicht die Füße nass machen müssen. Auf den Sümpfen wachsen die weißen Pflanzen, deren „Haare“ mich an meine Katze erinnern.

Die Blumen kenne ich schon aus Lappland: In der Wildnis Lapplands, wo es keine Holzbalken gab, warnten die Blumen mich sanft vor „Nasse Füße im Anmarsch!“, sodass sie mir nicht gut in Erinnerung blieben. Unter karelischen Umständen jedoch ist es durchaus sehr nett, diese interessanten Pflanzen zu betrachten.

WandernKarelien-Wald2

Noch bevor wir unser erstes Pausenziel, ein Laavu – das ist ein auf drei Seiten geschlossener Holzunterstand – erreichen, rieche ich das Feuer. Dieser leicht kratzende Geruch lässt mich Purzelbäume schlagen – deswegen sind wir doch hier! Frische Luft einatmen, durch die Wälder streifen, eine Abkühlung im See genießen und natürlich die Pausen am Lagerfeuer.

Am Laavu treffen wir ein junges finnisches Pärchen, das sich gerade ein Haferbrei zubereitet. Es sieht so aus, als hätten sie die Nacht in dem offenen Laavu, samt Essen, verbracht.

“Habt ihr denn keine Angst vor den Bären?” Ich staune.

Bären? Ach, vor denen braucht ihr keine Angst zu haben – die finnischen Bären sind so schüchtern wie die Finnen selbst,

antwortet der nette Mann.

Aha. Also nun bin ich erst recht beunruhigt. Ich war nach den neun Monaten in Finnland immer noch auf der Suche nach dem „schüchternen Finnen“.

Wenn sich die Schüchternheit der Finnen in ihren Bären wiederspiegelt, dann dürfte ich in der Zukunft folgendes Szenario erleben: Ein Bär kommt bei der nächsten Flussüberquerung einfach auf mich zu, klatscht mir auf den Rücken und sagt „Schau mal, wie schön die Sonne heute scheint!“. Dann wendet er sich vor mir ab und geht weg.

Hm, an sich doch nicht so schlimm, oder?

WandernKarelien-Feuer

Nichts und Niemand als Wald und See

In Karelien gibt es Wald in unterschiedlichsten Formen, er ist und bleibt ein Evergreen. Normalerweise bevorzuge ich offene Fjellandschaften – Wald jagte mir immer etwas Angst ein. Wer weiß, was bzw. wer sich hinter dem nächsten Baum oder Busch versteckt? Im Wald ist es dunkel, es gibt kaum Gelegenheiten eine gute Aussicht zu erhaschen.

Hier beim Wandern in Karelien gehört der Wald einfach dazu. Manchmal ist er dicht und wild, manchmal ordentlich und dunkel, mal zerstört und hell, mal angsterregend und mal entspannend und beruhigend, manchmal hässlich und manchmal schön. Oder nach 50 Kilometern irgendwie einfach nur normal. Wald eben.

WandernKarelien-Wald2

Was mich an dieser Trekkingtour besonders reizt, ist die Einsamkeit und die täglich schöne Routine.

Der Wald scheint endlos zu sein. Menschen sieht man oft weniger als einmal am Tag. Das frühe Aufstehen, der lange Frühstück mit frisch geflückten Blaubeeren, die Motivation zum Laufen am Anfang des Tages, dann das Warten auf die Mittagspausen – auf das (warme) Essen oder zumindest Tee mit Keks.

Später kommt die Ungeduld den Zeltplatz, die Hütte oder den Laavu zu erreichen. Sich den Zeltplatz vorzustellen und dann doch positiv – oder manchmal negativ überrascht zu werden.

An einem Abend erreichen wir den Kaunisjärvi – übersetzt: schöner See. Und der ist wirklich wunderschön. Seen haben wir nun zu genüge gesehen, aber selten so einen glasklaren See, der von weiten in türkisblau strahlt. Ich werfe meinen Rucksack so laut ab, dass ich vor seinen Aufprall selbst erst einmal zusammen zucken muss. Huch, war das vielleicht doch ein Elch?

Schuhe werden in fünf Atemzügen ausgezogen und nackte Füße erblicken nach 15 Kilometern das Tageslicht. In der Zwischenzeit schmeißt mein Freund den Kocher an. Das Feuer lodert und es dämmert langsam.

WandernKarelien-Sonnenaufgang

Überraschenderweise sind heute mal keine Mücken da. Hm. Sind wir nun doch ganz allein? Ich öffne mein Tütenessen und höre ein lautes Wolf-Gruppenheulen etwa 300M vor uns entfernt. Also doch nicht ganz allein. Echtes Wildnisfeeling eben.

Gipfel, atemberaubende Aussichten oder extreme Abwechslung erwartet man auf den Wolfspfad vergeblich. Die Landschaft ändert sich kontinuierlich, dennoch langsam und irgendwie beruhigend.

Die Action beim Wandern in Karelien? Die Chance jeden Moment ein wildes Tier sehen zu können: unsere Wanderung folgte riesigen Bärentatzen, schreckhaften Rehkälbern, führte zu jungen Greifvogeln, die gerade dabei waren, das Fliegen zu erlernen, abendlichen Schwimmkünsten der Bieber, nächtlichen Elchbesuchen und wer weiß, vielleicht standen auch wir die ganze Zeit unter Beobachtung eines neugierigen Wolfs?


Über die GastautorinAnaUeber66Grad

Seit Anastassija zum Studieren nach Finnland kam, kann sie von dem hohen Norden nicht genug bekommen. Ihr Motto: je nördlicher, desto besser. Auf ihren Blog “Über 66 Grad” entdeckst du weitere spannende Reiseberichte über Naturabenteuer aller Art wie z.B. ihre Tipps für deine nächste Trekking/Wandertour in Finnland und Skandinavien.


Wäre das auch was für Dich? Wandern zwischen Wölfen und Bären an der finnisch-russischen Grenze? Oder warst du sogar schon dort unterwegs? Ana und ich freuen uns auf Deinen Kommentar!

7 Comments

  1. Ooooh, ganz großartig! Das hört sich wundervoll an. Was mich noch brennend interessieren würde – evtl. kann ja die Autorin da ein Sätzchen zu sagen: Welche Baumarten stehen da denn rum? Das sieht ein bisschen so aus, als würden da nur Nadelbäume existieren (ich mag leider Nadelbäume nicht so sehr sondern liebe Mischwälder!)… stimtm das oder täuschen da die Bilder?
    Herzlichen Dank für diesen schönen Artikel!
    LG
    /inka

  2. Vielen lieben Dank, liebe Inka!

    Das stimmt, in Karelien sind meist Nadelbäume mit Fichte, Kiefer und der Tanne vertreten; aber natürlich auch sehr viel Birke – die gibt es überall in Finnland.

    Liebe Grüße,
    Ana

  3. Ich würde am liebsten jetzt sofort aufbrechen und selbst den Norden erkunden. :D
    Ein toller Beitrag, der zum nachmachen inspiriert. Wenn ich schon lese: ,,Der Wald scheint endlos zu sein.”, dann ist es schon um mich geschehen. :)

    Liebe Grüße
    Jessie

  4. Pingback: Aus dem Winterschlaf erwacht: über die Blogpause, Massentourismus und den Sinn des Ganzen - Über 66 Grad

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