Während ich in den nächsten Tagen die letzten Kilometer meiner Fernwanderung hier in Westaustralien hinter mich bringen werde, habe ich einen Gastartikel für Dich, der ziemlich gut dazu passt: Denn auch Gastautorin Gina in diesem Jahr alleine 1.000 km gewandert  – und zwar im benachbarten Neuseeland auf dem Te Araroa Trail! Welche Schwierigkeiten und Herausforderungen ihr dabei als Fernwander-Neuling begegnet sind und wie sie damit umgegangen ist, davon berichtet sie in diesem Gastartikel.


Dieser Artikel ist Teil meiner Reihe „Outdoorfrauen-Spezial“, in der ich auch anderen Frauen, die abenteuerlich Reisen und das Draußensein lieben, die Möglichkeit geben möchte, ihre Geschichte zu erzählen. Mehr Infos dazu und wie Du selbst mitmachen kannst findest Du hier.


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Obwohl in Berlin geboren,  war ich schon immer ein Naturkind und Neuseeland schon seit Schulzeiten eines meiner Traumreiseziele. Nachdem ich in meinen Mittzwanzigern schon ein paar Mal allein auf mehrtägigen Hütten- und Radtouren in Deutschland unterwegs war, wuchs über die Jahre der Wunsch, einen Fernwanderweg anzugehen und sich wochen- bzw. monatelang nicht nur in der Natur zu bewegen, sondern auch dort zu leben. Spätestens mit Cheryl Strayeds Buch “Der große Trip” war es dann vollends um mich geschehen. Ich durchforstete das Internet, ob Neuseeland nicht zufällig auch einen Fernwanderweg hätte und wurde fündig.

Der Te Araroa (übersetzt: “the long pathway” / “der lange Weg”) ist ein relativ junger Fernwanderweg in Neuseeland, der erst im Dezember 2011 offiziell eröffnet wurde. Auf gut 3.000 Kilometern zieht sich der Trail auf einer Mischung aus etablierten Wanderwegen und neu angelegten Pfaden, aber auch abschnittsweise entlang von Highways längs über beide Inseln – vom Cape Reinga,  dem nördlichsten Punkt der Nordinsel bis zum Sterling Point in Bluff,  ganz im Süden der Südinsel.

In diesem Gastbeitrag möchte ich Dir von meinem Abenteuer und vor allem von den größten Herausforderungen auf dem Te Araroa erzählen.

 

1. Laufen mit schwerem Rucksack

Zugegebenermaßen habe ich mich physisch überhaupt nicht auf den Trail vorbereitet. Da ich 2,5 Wochen vor dem Start einen Ultramathon gelaufen bin, ging ich davon aus,  dass das Training für diesen ja wohl ausreichend genug sein würde. In den FAQ’s auf der Te Araroa Homepage stand, dass für den Trail eine mittelmäßige Kondition durchaus ausreichend sei. Was da nicht drin stand war, dass sie davon ausgehen,  dass man schon gleich zu Beginn in der Lage ist, täglich bis zu 30 km zu laufen – mit dem schweren Rucksack auf dem Rücken wohlgemerkt! Ich musste ziemlich früh feststellen,  dass dies für mich zu einer der größten Herausforderungen wurde.

Mit Wasser und Proviant für bis zu 8 Tage kamen da nämlich schon mal locker 17 kg zusammen, die zu tragen meine armen Schultern überhaupt nicht gewohnt waren. Gerade am Anfang hatte ich so sehr mit dem Gewicht des Rucksacks zu kämpfen,  dass ich teilweise alle halbe Stunde für ein paar Minuten pausieren musste, um die schmerzenden Schultern etwas zu entspannen. Dies wirkte sich natürlich negativ auf die Gesamtlaufzeit aus, was einerseits zu Frust und zum Tagesende auch zu deutlichen Ermüdungserscheinungen führte. Oft war ich deutlich länger unterwegs als die zur Orientierung angegebenen Zeiten und stolperte erst kurz vor Sonnenuntergang ins Ziel. Dass es auf dem Te Araroa fast permanent auf und ab geht, machte die Sache nicht unbedingt leichter.

Im Nachhinein betrachtet kann ich jedem nur anraten, unbedingt vorher mit fertig gepacktem Rucksack zu trainieren oder sich zeitlich darauf einzustellen, in den ersten Wochen nur langsam und nicht allzu weit voranzukommen.

2. Blasen an den Füßen

Es soll Menschen geben,  die tatsächlich einen Fernwanderweg blasenfrei überstehen. Und es gibt mich. Obwohl ich meine Wanderstiefel vorher gut eingelaufen habe, hatte ich in den ersten zwei Wochen wirklich an jeder erdenklichen Stelle, an der man an den Füßen Blasen bekommen kann auch tatsächlich welche: Unter den Fußballen. An den Außenseiten der großen Zehen. Zwischen den kleineren Zehen. Auf den kleinen Zehen. Seitlich am Fußgewölbe. An den Fersen. Seitlich der Fersen. Auf den Fußrücken. Alle diese Blasen wurden nicht etwa durch zu kleines Schuhwerk,  sondern durch ausgetragene Wandersocken sowie Reibung und Nässe verursacht.

Ich hatte mir schon 2,5 Wochen vor dem Start bei meinem 87-Kilometer-Ultramarathon jede Menge Blasen geholt, die bis zum Start gerade so verheilt und während der ersten 40-Kilometer-Etappe (die ich glücklicherweise ohne Rucksack laufen konnte) sofort alle wieder da waren und im Laufe des Abends auf etwa Blaubeerengröße angeschwollen waren. Ein Aufstechen und Ablassen von Wundflüssigkeit war dementsprechend unvermeidbar. Um Entzündungen unter hygienisch eher fragwürdigen Bedingungen zu vermeiden,  mussten nach dem Desinfizieren also auch gleich Blasenpflaster drauf. Leider sind die im Laufe des nächsten Tages nie an ihrem Platz geblieben,  sodass ich einen ziemlich hohen Verschleiß an Blasenpflastern hatte, die innerhalb kürzester Zeit auch komplett aufgebraucht waren.

Danach fing ich an zu experimentieren. Erst mit Wundkompressen und Papiertape aus dem Erste-Hilfe-Beutel. Und dann wesentlich erfolgreicher mit Wundkompressen und Physiotape. Außerdem habe ich mir bei nächster Gelegenheit ein paar neue Trekkingsocken aus Wolle zugelegt und mir angewöhnt,  die Füße vor dem Losgehen einzuschmieren. Nach zwei Wochen lief ich dann endlich blasenfrei.

3. Sicherheit als Solo-Wandererin

Ich habe mich bewusst dafür entschieden, den Te Araroa alleine zu wandern. Wer allein läuft,  kann sein eigenes Tempo laufen,  so viele Pausen einlegen wie er mag, wird nicht abgelenkt und muss bei sämtlichen Entscheidungen nur auf sein eigenes  Wohlbefinden und Budget Rücksicht nehmen. Wer allein läuft, ist im Falle von Komplikationen aber auch komplett auf sich allein gestellt. Dementsprechend war es meine oberste Priorität,  eventuelle Risiken so gering wie möglich zu halten.

Das hieß konkret, an schwierigen Stellen lieber langsam und bedacht zu laufen und nicht irgendwo leichtfüßig durchzubrettern. Stets den aktuellen Wetterbericht im Auge zu behalten und vor dem nächsten Etappenstart nochmal die örtlichen DOC-Ranger nach eventuellen Risiken zu befragen. Und vor allem auch, mich nicht selbst zu überschätzen. Da ich von vornherein schon relativ spät gestartet bin und anfangs auch wesentlich langsamer als gedacht vorankam, habe ich mich nach zwei Wochen auf dem Trail dazu entschieden, den aufkommenden Zeitdruck rauszunehmen, einen Gang runterzuschalten und nur die Südinsel zu durchwandern.

Außerdem beschloss ich, im Falle von Schnee und Eis in den höheren Lagen kein Risiko einzugehen und diese dann zugunsten meiner eigenen Sicherheit zu überspringen. So hatte ich mich dann auch halbschweren Herzens dazu entschlossen, nicht nur den frisch eingeschneiten höchsten Punkt des Te Araroa, den Stag Saddle, zu überspringen,  sondern auch den Waiau Pass und die Richmond Range, welche mir viele entgegenkommende Wanderer als Highlights, aber auch als die technisch anspruchsvollste Passagen beschrieben haben.

Da ich immer wieder tagelang komplett von der Zivilisation und Handyempfang abgeschottet war, habe ich vor dem jeweiligen Etappenstart stets meine Familie über die geplanten Tagesetappen  informiert und ausgemacht, ab wann die örtliche Polizei zu informieren ist, sollte ich mich nicht zum vereinbarten Zeitpunkt melden. Mit Blick auf den Wetterbericht wurden dabei auch immer eventuelle Unwettertage, die ich eventuell auf einer Hütte aussitzen müsste, mit einkalkuliert.

4. Kälte

Klingt eigentlich simpel. Viele Klamotten anziehen und gut ist.  Nun ist es so, dass gerade zum Ende meiner Wanderung die Temperaturen nachts regelmäßig unter den Gefrierpunkt gefallen sind und mir trotz mehrerer Klamottenschichten immer noch kalt war.

Die eigentliche Herausforderung für mich bestand darin, zu lernen, in den Hütten selber Feuer zu machen.  Manchmal hatte ich Glück und es fand sich jemand anderes, der oder die sich ums Feuer in der Hütte gekümmert hat. Manchmal habe ich auch einfach gefroren und bin so schnell wie möglich in meinen Schlafsack gekrochen. Bis ich irgendwann vom Frieren genervt genug war und mir gesagt habe: “Es reicht! Ich muss lernen, selber Feuer zu machen.”  Oder besser gesagt: Ein Feuer in Gang zu kriegen und es am Brennen zu halten.

Für mein erstes Feuer hat mir eine freundliche Dame am Abend zuvor extra einen Grillanzünder und ein paar kleine Stöckchen überlassen, damit ich es etwas leichter haben würde, falls nicht genug Kleinholz im Schuppen wäre. Ungünstigerweise hab ich auf mein kleines Feuerchen viel zu früh viel zu große Scheite draufgepackt, sodass das Feuer nach nicht mal 10 Minuten auch schon wieder aus und ich nicht unwesentlich frustriert war. Glücklicherweise ist Frust für mich ein großer Motivator, sodass ich angespornt war, es am nächsten Tag gleich noch mal zu versuchen. So sammelte ich schon auf dem letzten Kilometer vor der nächsten Hütte mehrere Reißigzweige und Kleinholz, um sicherzustellen,  das Feuer eine ganze Weile erstmal mit diesem in Gang zu halten, bevor nach und nach die größeren Scheite dran kamen. Mein erstes eigenes Feuerchen hat mir zwar auch gleich eine kleine Brandwunde am Finger beschert, doch der Stolz über ein kleines Stückchen neu errungene Unabhängigkeit machte den Schmerz mehr als wett.

5. Ähhhm…*räusper*…Hygiene

“Sweat like a pig. Look like a fox. Smell like a possum.”

Zum Thema Hygiene liest man leider kaum etwas in den Reiseberichten anderer Longdistance Hiker und man kann darüber nur Vermutungen anstellen. Ich denke, es liegt daran, dass nur die wenigsten zugeben wollen, dass man sich als sonst so reinlicher Mensch, der täglich duscht und frische Kleidung anzieht, auf einer langen Wanderung  in mehr oder weniger mittelalterlichen Verhältnissen bewegt, was die persönliche Hygiene angeht. Als Fernwanderer bist du darauf bedacht, dein Reisegepäck so gering wie möglich zu halten. Das heißt: Mehr als 2-3 Schlüppies und Socken werden sich höchstwahrscheinlich nicht in Deinem Gepäck befinden. Und schwere Waschmittel ziemlich sicher auch nicht.

Im Wesentlichen bestand meine tägliche Hygiene aus zweimaligem Zähneputzen und Händewaschen. Ohne Seife. And that’s it. Als ich im Spätsommer gestartet bin, war es noch relativ easy, täglich die Unterwäsche mit einem Tropfen hochkonzentrierter Outdoor-Seife auszuwaschen und zum Trocknen in die Sonne zu hängen, während ich mir selbst in einem der zahlreichen Seen, Flüsse und Bäche wenigstens etwas den Staub und Schweiß abwaschen konnte. Mit sinkenden Temperaturen wurde mir das aber ehrlich gesagt zu kalt. Und die Unterwäsche und der Mikrofaserwaschlappen wurden über Nacht auch nicht mehr trocken.

Ich ging dazu über, die Unterwäsche nur noch jeden zweiten Tag zu wechseln und mich an den eigenen Mief und den der mehrere Tage lang vollgeschwitzten Klamotten zu gewöhnen. 10 Jahre Festival-Erfahrung machten die Sache etwas erträglicher. Außerdem war ja eh keiner da, den der Geruch hätte stören können und auf den Hütten und in den Hostels habe ich festgestellt, dass die anderen Wanderer mindestens genauso schlimm oder sogar noch übler rochen.

Und dann war da noch das Menstruationsproblem, dass ehrlich gesagt gar keines war. Benutzte Tampons in die Natur zu schmeißen oder mehrere Tage mit mir rumzuschleppen war definitiv keine Option für mich. Zumal diese in Neuseeland auch relativ teuer sind. Daher habe ich mich schon im Vorfeld nach Alternativen umgeschaut und bin auf die Menstruationstassen aufmerksam geworden, die in der Handhabung einem Tampon sehr nahe kommen – mit dem Unterschied,  dass sie nicht weggeschmissen, sondern ausgespült und neu eingesetzt werden und dazwischen bis zu 12 Stunden benutzt werden können.  Letztendlich war es nicht problematischer als morgens und abends eine Wasserflasche zum Ausspülen und Händewaschen mit auf die Toilette oder in die Pinkelecke mitzunehmen und die Tasse nach der Menstruation einfach abzukochen.

Eine weitere große Herausforderung waren für mich viel mehr die mangelnden hygienischen Standards in den Hostels und bezahlbaren Unterkünften. Als Deutsche mit einem im weltweiten Vergleich ziemlich hohen Hygienestandard zu reisen kann manchmal echt hart sein und ich hab mich in meinem Zelt oder auf einer der zahlreichen Hütten oft wesentlich wohler gefühlt als in den meisten Hostels, wo ich trotz verhältnismäßig hoher Preise immer wieder verkeimte bis schimmelige Räumlichkeiten und verdreckte Küchen vorfand.

6. Verpflegung unterwegs

Wer 6-10 Stunden täglich wandert, ist mehr oder weniger ständig hungrig. Das optimale Verhältnis aus Energie- und Nährwertgehalt, Geschmack, Preis und Gewicht zu finden war definitiv eine der größten Herausforderungen für mich. Da ich festgestellt habe, dass ich mich definitiv NICHT eine ganze Woche nur von Fertigprodukten ernähren kann oder will, musste für jeden Tag etwas Frisches mit. Ich entschied mich für Äpfel, da diese auch während der sommerlichen Temperaturen tagsüber halbwegs frisch bleiben und auch den einen oder anderen Drücker im Rucksack abkönnen. Davon abgesehen sah eine Tagesration in den letzten beiden Monaten in etwa so aus: Zum Frühstück gab es immer 2 Tütchen Instant-Müsli mit 6 Löffeln Kokosflocken, 3 Löffeln Zucker und ein paar Messerspitzen Butter und dazu eine Tasse Pfeffitee. Zum Mittag gab es dann ein Sandwich mit Gurke, Wurst und Käse und den Apfel. Zwischendurch und nach Bedarf 2 Müsliriegel, ein paar Nüsse und Kekse. Zum Abendbrot gab’s dann meist Instantreis oder Couscous mit einer Tütensuppe oder Instantpasta mit Thunfisch. Hin und wieder hab ich mir auch mal eines der teuren gefriergetrockneten Backcountry Meals gegönnt. Außerdem hatte ich immer entweder ein kleines Plastikgläschen Nutella oder Schokolade dabei.

Zum Trinken habe ich immer zwei 750 ml Flaschen Wasser mitgenommen,  die ich unterwegs glücklicherweise regelmäßig an einer der zahlreichen Wasserquellen auffüllen konnte.

7. Das liebe Geld

Wer denkt, dass er als Longdistance Hiker preisgünstig reist, der irrt sich. Zumindest in Neuseeland,  denn Neuseeland ist teuer. Es ist unglaublich, wieviel Geld man hier für Dinge ausgeben kann, die bei uns nur wenige Cents kosten. Zum Beispiel Pfeffitee. Kostet bei uns ca. 20 Cent, in Neuseeland lässt du dafür mindestens 3$ (~2€), teilweise sogar mehr. So kann man hier locker 100$ für einen Wocheneinkauf berappen, der überwiegend aus Instantgerichten und Fertigprodukten besteht.  Dazu kommen dann noch die Übernachtungen in teilweise völlig überteuerten Hostels und hin und wieder auch mal in einem Airbnb-Zimmer. Ganz zu schweigen vom Besuch im Restaurant oder Burgerladen, um sich nach einer Woche voller Fertigprodukte mal wieder eine richtige Mahlzeit zu gönnen, für die man nicht Ewigkeiten in einer verdreckten Hostelküche stehen muss. Das summiert sich ganz schön und es war dann schon ziemlich frustrierend für mich zu sehen, wie schnell sich die Ersparnisse verdünnisiert haben. Wer irgendwann auch mal den Te Araroa angehen möchte, sollte mindestens 3.500 – 4.000 Euro mitbringen.  Vorausgesetzt man ist kein Raucher und schläft auch an Ruhetagen eher im Zelt als im Hostel.

8. Trampen

Wer schon mal einen Blick auf eine neuseeländische Karte geworfen hat, wird  feststellen,  dass es auf der Südinsel nicht allzu viele Städte bzw. Orte gibt. Und bei den meisten Orten handelt es sich auch nur um größere Siedlungen mit minimalen bis nicht vorhandenen Einkaufsmöglichkeiten. Nur ganz selten kommt der Te Araroa an vernünftigen Einkaufsmöglichkeiten vorbei und oft muss man den Trail verlassen, um in die nächste Ortschaft zu kommen. Diese liegt aber meist mehrere Kilometer weit entfernt,  sodass man ums Trampen nicht herum kommt. Da ich schon in jungen Jahren viel mit dem Daumen gereist bin, war dies grundsätzlich erstmal kein Problem. Das Problem bestand eher darin, auf den gottverlassenen Straßen überhaupt jemanden zu finden, der einen mitnimmt!

Da war in erster Linie Geduld, aber auch etwas strategisches Geschick erforderlich. Auf viel befahrenen Straßen musste man tatsächlich geduldiger sein als auf den weniger befahrenen Straßen, weil sich wahrscheinlich viele denken: „Die wird schon jemand anderes mitnehmen.“ Als hilfreich hat sich ein auf alte Oatmealpackungen gemaltes Schild erwiesen. Aus diesem Grund habe ich übrigens von vornherein einen Edding im Rucksack gehabt. Die Leute halten eher an, wenn sie schon wissen, wo Du hin willst und sowieso den gleichen Weg haben. Außerdem ist es wichtig, sich an einem Ort zu platzieren, an dem ein Auto sicher anhalten kann, ohne sich selbst oder den nachkommenden Verkehr zu gefährden.

Auf weniger bis selten befahrenen Straßen musste man zwar grundprinzipiell etwas länger warten, bis überhaupt jemand vorbeigekommen ist, dafür standen die Chancen besser, dass man gleich vom ersten Auto eingesammelt wird, weil die Locals natürlich wissen, wie verlassen die Gegend ist. Nicht selten habe ich dabei wirklich tolle Leute getroffen, die mich mit Süßigkeiten versorgt haben oder längere Umwege gefahren sind, um sicherzugehen, dass ich es noch vor Einbruch der Dunkelheit zur nächsten Hütte oder Unterkunft schaffen würde.

9. Auf dem rechten Weg bleiben

Eine der größten Herausforderungen auf dem Trail war definitiv die Orientierung. Wie oben schon erwähnt  ist der Te Araroa ein relativ junger Fernwanderweg, der aus älteren, schon vorhandenen Wanderwegen, aber auch aus relativ neu angelegten Pfaden zusammengefügt wurde. Leider waren da auch immer wieder mal Abschnitte dabei, die nur wenig bis gar nicht markiert waren. Oder die Markierungen waren überwuchert oder aufgrund umgestürzter Bäume oder Felsrutsche einfach nicht mehr erkennbar. Mal war es der Morgennebel, der mir jegliche Sicht nahm. Mal waren es sich stetig ändernde Flussläufe, die eine durchgängige Markierung erschwerten. In solchen Momenten hieß es dann immer Ruhe bewahren und nicht planlos drauf los stapfen. Irgendwo orientierungslos in der Wildnis zu wandern und mich dabei womöglich kilometerweit vom Trail zu entfernen, gehörte zu meinen größten Ängsten.

Meist hatte ich Glück, dass ich mich an bereits ausgetretenen Pfaden orientieren konnte. Manchmal musste ich aber auch schon ganz genau hinschauen, um einzelne Fußspuren oder umgeknickte Grashalme zu erkennen. Besonders schwierig war das im hohen Tussock-Gras. Manchmal musste ich auch noch mal ein Stück zurück gehen, weil ich über einen längeren Zeitraum schon keine Markierungen gesehen hatte, um mich dann nochmal neu zu orientieren.

Glücklicherweise gibt es eine Te Araroa-App, auf die mich jemand nach zwei Wochen auf dem Trail aufmerksam gemacht hat. Die ist zwar nicht ganz kostengünstig,  dafür war sie aber auch absolut wertvoll für mich und hat mir die Orientierung enorm erleichtert. Auf topographischen Karten konnte man auch ohne Internet nur mit dem GPS Signal immer genau erkennen, wo man sich selbst befindet und wo der Trail verläuft. Außerdem hat sie relativ zuverlässig und akkurat angegeben, wie weit es noch bis zur nächsten Hütte,  zum nächsten Campspot, zur nächsten Wasserquelle etc. ist. Ohne diese App wäre ich wahrscheinlich ziemlich aufgeschmissen gewesen, denn meine ausgedruckten Papierkarten waren ohne Kompass und dem Wissen um den richtigen Umgang mit diesem für mich nutzlos, sodass ich sie nach drei Wochen aussortiert habe. Wenn ich wieder in der Heimat bin, will ich unbedingt mal einen Survival Kurs machen, um diese Wissenslücken auch schließen zu können.

10. Flussüberquerungen

Neben besonders schmalen und/oder steilen Bergpfaden, die im ungünstigsten Fall auch noch total verschlammt waren, gehörten auch die zahlreichen Flussüberquerungen zu den größten Schwierigkeiten auf dem Trail.

Die Flüsse in Neuseeland können sehr tückisch sein. Meistens plätschern sie ganz ruhig und harmlos dahin. Aber während bzw. nach schwereren Regengüssen schwellen sie oft gefährlich an. Sie sind eine der Haupttodesursachen in der Wildnis Neuseelands, da die Menschen von der Strömung mitgerissen werden oder ausrutschen und sich an den Steinen im Flussbett schwere Kopfverletzungen zuziehen, dann bewusstlos im Wasser treiben und ertrinken.

Die für mich diesbezüglich herausforderndste Etappe war das Stück zwischen Lake Coleridge und der Hamilton Hut, bei der der Harper River dutzende Male durchquert werden musste. Blöderweise war dieser durch einen vorausgegangenen Zyklon noch ziemlich doll angeschwollen und eher reißend unterwegs, sodass man den Grund nicht erkennen und daher auch nicht abschätzen konnte, wie tief er tatsächlich war. Ein falscher Schritt konnte fatale Folgen haben.

Ich war unheimlich froh, dass am Tag zuvor gleich zwei weitere Northbounder (also Wanderer, die in die gleiche Richtung laufen wie ich) zu mir aufgeschlossen hatten und ich dieses eine Mal nicht allein unterwegs war. Zu dritt haben wir den Fluss nach Stellen abgesucht, an dem gerade so ein paar größere Steine vom Grund durch das trübe Wasser durchgeschimmert haben. Der Größte von uns musste dann immer vorausgehen und wir anderen beiden haben dann,  gemessen an seinem Wasserstand und dem Wasserwiderstand, mit dem er zu kämpfen hatte, entschieden, ob wir ihm folgten oder uns eine andere Stelle suchen. Mühsam musste ich dabei teilweise oberschenkeltief durch das trübe Wasser waten, während der Fluss wie wild an mir und meinen Stöcken zerrte und mir das Herz jedes Mal bis zum Halse pochte. Allein wäre mir das höchstwahrscheinlich zu riskant gewesen und ich hätte noch einen Tag länger gewartet, denn oft plätscherte der Fluss schon am nächsten Tag dahin, als wäre nichts gewesen.

11. Angst

Es ist eine Sache,  sich allein durch kultivierte Gegenden zu bewegen, in denen man doch in regelmäßigen Abständen immer wieder mal anderen Menschen begegnet, und eine andere, sich  völlig allein durch die Wildnis zu bewegen, weit entfernt von jeglicher Zivilisation. Wer schon mal einen Schwedenkrimi gesehen oder gelesen hat weiß, was sich das Kopfkino so alles ausmalen kann.

Grundsätzlich gilt Neuseeland nach Island als eines der sichersten Länder der Welt, was definitiv schon mal beruhigend ist. Um dem Kopfkino trotzdem keine Chance zu geben, habe ich mich so gut es ging abgelenkt. Tagsüber war ich ja sowieso mit Wandern, Navigieren und Aussicht genießen beschäftigt.  Nach Einbruch der Dunkelheit hab ich mich dann mit Essen, Tagebuch schreiben, Tagesetappen planen, Malen, Lesen, und Musik hören beschäftigt, bis mir fast die Augen zugefallen sind, um mich dann mit einem Hörbuch so schnell wie möglich ins Reich der Träume zu katapultieren.

12. Sandflies

Es gibt zwar keine gefährlichen Tiere in Neuseeland,  aber es gibt Sandflies und die können schon zur echten Herausforderung werden, wenn sie dir jede Rast in Wassernähe vermiesen, sich in Massen auf dich stürzen und zerbeißen, was Mückenstich ähnliche Male zur Folge hat, die höllisch jucken und dir den Schlaf rauben. Wer nicht die Deet-Chemo-Keule schwingen will, muss in Bewegung bleiben und sich so gut wie möglich bedecken. Juckende Stiche konnte ich dann relativ gut mit einem hohen Maß an Selbstbeherrschung und Tigerbalsam beruhigen.

Und übrigens: Diese winzigen Sandflies sind schwer genug, um die Seiten auf Deinem Ebook-Reader umzublättern und dich damit in den Wahnsinn zu treiben! Da hilft leider nur unermüdliches Erschlagen.


Über die Gastautorin

Gina ist gebürtige Berlinerin, die während ihrer Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin die Hektik und die schlechte Luft der Großstadt hassen und die Ruhe und Schönheit der Natur auf ihrem Dorf, nur 50 min außerhalb Berlins, lieben gelernt hat.

Als unabhängiger, freiheitsliebender Mensch war das Alleinereisen nie ein Problem, sodass sie mit dem ersten Einkommen nach der Ausbildung auch die ersten Touren mit dem Rad und zu Fuß durch die Berge in Angriff nahm. Daraus entwickelte sich dann auch die Liebe zum Laufen und ein stetig wachsender Entdeckerdrang.

Nach sechs Jahren Arbeit als Erzieherin im Öffentlichen Dienst kündigte sie ihr unbefristetes Arbeitsverhältnis und erfüllte sich an ihrem 31. Geburtstag den lange gehegten Wunsch vom “Großen Trip” – allerdings nicht auf dem PCT in Amerika, sondern auf dem Te Araroa in Neuseeland, das schon seit Schulzeiten ihr Traumreiseziel war.

Mehr von Ginas Abenteuern auf dem Te Araroa-Trail und anderswo (aktuell ist sie übrigens so wie ich in Australien unterwegs!) gibt’s auf ihrer Facebook-Seite und bei Instagram.


Ginas Ausrüstungstipps

Gute Socken sind das A&O! Ich habe mir nach 2 Wochen auf dem Trail Merino-Socken von Bridgedale zugelegt, mit denen ich super zufrieden war.

Ganz wichtig: Stöcke! Einmal hatte ich meine Leki Micro RCM tatsächlich beim Trampen im Auto vergessen! Glücklicherweise wusste ich, wo die Fahrerin wohnte, weil ich sie auf ihrem Grundstück angesprochen hatte, um nach dem Weg zu fragen. Und das war nur 2 Stunden von der Hütte entfernt, an der ich sowieso einen Pausentag einlegen wollte, sodass ich am nächsten Tag mit meinen Stöcken wiedervereint werden konnte.

… und mein heißgeliebter Schlafsack, der Starlight II von Mountain Equipment, der mich auch in bibberkalten Nächten warm gehalten hat:

 


Hast Du auch Lust, Gastautorin auf meinem Blog zu werden? Alle weiteren Infos dazu findest Du in diesem Artikel. Ich freu mich auf Deine Nachricht!


Werbehinweis: Vielen Dank an die Bergfreunde, die meine Gastartikelreihe mit Gutscheinen für die Autorinnen unterstützen. Alle verlinkten Produkte und noch viele weitere fürs Wandern, Klettern, Bergsteigen, Mountainbiken (…) findest Du dort im Onlineshop.

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Was sind für Dich die größten Schwierigkeiten beim Fernwandern? Ich freu mich auf Deinen Kommentar!

4 Comments

  1. Danke für diesen tollen Artikel! Hat mir sehr gut gefallen und auch weiter motiviert nächstes Jahr meinen Traum der Weitwanderung über die Alpen (größtenteils?) allein zu machen :)

  2. Super Artikel! Ich finde es toll, dass du die, ich sage mal negativen Seiten und Probleme beim Fernwandern aufzeigst. Sehr interessant! Vielen Dank :-)

  3. Ein Schöner Artikel! Vielen Dank dafür! Ich schätze ebenfalls wenn man etwas direkt und offen Anspricht. Irgendwie ist es immer “beruhigend” wenn man merkt, daß es anderen genauso geht wie einem selbst.
    Ich fand es vor allem cool, das auch jemand der schon so lange Trails abseits von Zivilisation gelaufen ist, sich für frische Lebensmittel ausspricht :-) Ich tue mich mit dem ganzen trockenen und dem Fertigfutter ziemlich schwer und wehre mich mit Händen und Füßen dagegen.

  4. Vielen Dank für den Bericht und die ehrlichen Worte!!
    Ich hätte da aber noch eine Frage! Du hast geschrieben, dass du für den Trail eine bestimmte App verwendet hast … wie heißt diese????

    LG Hanni

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